Im Namen der reitenden Mütter

www.faz.net  - 19. Dezember 2022 -

Doppelrolle als Mutter und Spitzensportlerin: Springreiterin Janne Friederike Meyer-Zimmermann setzt sich für mehr Selbstbestimmung in ihrem Sport ein. Ihr Weg ist noch lange nicht zu Ende.

Friedrich war zum ersten mal in der Festhalle mit dabei. Der Sohn von Springreiterin Janne Friederike Meyer-Zimmermann wird im Januar ein Jahr alt, und wenn seine Mutter während der Turniertage in Frankfurt im Sattel saß, musste Vater Christoph den Kleinen bespaßen.

„Ohne Hilfe geht es nicht“, betont die 41 Jahre alte Amazone. Spitzensport und Mutterdasein miteinander zu vereinbaren, das ist auch dann noch eine Herausforderung, wenn – wie bei ihr auf der heimischen Anlage in Pinneberg – alle bereit sind mitanzupacken.

Rasant ging es für die Team-Weltmeisterin von 2010 nach ihrer Schwangerschaftspause wieder aufwärts. Von Weltranglistenplatz 270 aus, auf den sie zwischenzeitlich zurückgefallen war, ist sie zum Ende eines äußerst erfolgreichen Jahres auf Rang 68 geklettert. Vor zwei Wochen erst gewann Meyer-Zimmermann mit dem Wallach Messi, der großen Anteil an der positiven Bilanz hat, den Weltcup im spanischen La Coruña.

Eine Bestätigung ihres Engagements ganz anderer Art bekam die Pferdesportlerin vom Weltreiterverband FEI. Der änderte gerade die Regeln zum Mutterschaftsurlaub.

Meyer-Zimmermann hatte sich aus leidvoller Erfahrung mit ihrer Initiative „EqualEquest“ dafür eingesetzt. Reiterinnen, die wegen einer Schwangerschaft eine Pause beantragen, behalten 50 Prozent der Weltranglistenpunkte, die sie zum gleichen Zeitraum des Vorjahres gewonnen haben. Dafür mussten sie bisher mindestens sechs Monate lang auf Turnierstarts verzichten.

Meyer-Zimmermann wollte im Frühjahr nicht so lange warten und stieg bereits kurz vor Ablauf der Frist Ende März im spanischen Oliva wieder ein. Dafür wurden ihr alle gutgeschriebenen Punkte aberkannt.

In Zukunft dürfen Mütter bereits nach drei Monaten wieder in den Turniersattel steigen. Als „großen Schritt in die richtige Richtung“, begrüßt Meyer-Zimmermann das. Doch es ist ihr nicht genug. Einerseits gilt die Regelung nur für die Disziplinen Springen, Dressur und Fahren. Zudem wünscht sich Meyer-Zimmermann „hundertprozentige Flexibilität“.

Jede Reiterin sollte die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden, wann sie wie- der Prüfungen auf sich nimmt. „Das ist eine Frage der Selbstbestimmung“, betont Meyer-Zimmermann. Mit Mutterschutz habe die FEI-Vorgabe nichts zu tun. Wer frühzeitig aus dem Sattel steigt, könnte schon am Tag nach der Geburt wieder ein Turnier bestreiten. Zudem riskiere man, dass sich die Reiterinnen „Umso mehr zer- reißen und durch Europa tingeln“, um die Punkte zurückzugewinnen, die sie verloren haben, und damit auch wieder Startberechtigungen für hochkarätige Events „Für mich ist das noch gut ausgegangen, weil es in Deutschland viele Turniere gibt und Bundestrainer Otto Becker mir Einsätze ermöglicht hat“, sagt Meyer-Zimmermann. Kolleginnen aus anderen Nationen oder junge Reiterinnen, die sich noch hocharbeiten, dürften es da deutlich schwerer haben. „Man könnte über eine Wildcard für zurückkehrende Mütter nachdenken.“

Die ursprüngliche Bestimmung war 2009 für die deutsche Championatsreiterin Meredith Michaels-Beerbaum eingeführt worden. „Die Zeiten haben sich geändert" sagt Meyer-Zimmermann. Es gebe deutlich mehr Turniere und Chancen, sich Punkte zu erkämpfen. Frauen, die wegen einer Schwangerschaft ohne gesundheitliche Notwendigkeit länger pausieren müssten, als sie selbst es wollten, entstünde ein erheblicher Nachteil.

„Unser Sport hat als Alleinstellungsmerkmal, dass sich Frauen und Männer darin miteinander messen können, weil es nicht um Kraft, sondern um Gefühl und Partnerschaft mit dem Pferd geht“, sagt Meyer-Zimmermann. Diese Gleichberechtigung sollte man sicherstellen.

Dressur-Olympiasiegerin Jessica von Bredow-Werndl würde deshalb noch weitergehen. „Ich würde mir wünschen, dass man 100 Prozent der Weltranglistenpunkte behält“, so die 36-Jährige. „Den Müttern sollte unter die Arme gegriffen, und es sollten ihnen nicht unnötig Hindernisse in den Weg gestellt werden.“ Die Weltranglistenerste bereut im Nachhinein die Entscheidung, für die Geburt ihrer Tochter Ella im August eine Turnierpause bei der FEI beantragt zu haben. Als sie im Oktober vorzeitig wieder loslegen wollte, wurde ihr keine Starterlaubnis erteilt.

Als „skandalös“ bezeichnet Meyer- Zimmermann diese Auslegung der Regel. „Aus meiner Sicht war das ein Berufsverbot.“ Präzisierungen seien erforderlich, um solch eine „Willkür“ zu verhindern. Trotz gerade erreichtem „Meilenstein“ sei der Weg zum Ziel noch lange nicht zu Ende. Viele andere Reiterinnen sollten ermutigt werden, sich wie sie auf die schwere, aber schöne Doppelrolle als Mutter und Spitzensportlerin einzulassen. Katja Sturm

Quelle: https://www.faz.net/aktuell/sport/mehr-sport/schwangerschaft-im-pferdesport-im-namen-der-reitenden-muetter-18543690.html